19. November 2021 | Ausgabe 21

Aufbruch in die Katastrophe

Die Berliner:innen Theresa Leisgang und Raphael Thelen haben sich auf eine Reise begeben, um nach Lösungen für die Klimakrise zu suchen. Von Südafrika bis zur Arktis haben sie Menschen getroffen, um zu erfahren: Wie gehen sie mit den Folgen der Klimakatastrophe um? Und was können wir tun?

TEXT & FOTOS Theresa Leisgang und Raphael Thelen

Eine junge Frau und eine weitere Person fahren in Seifenkisten eine holprige Straße in der Abenddämmerung entlang. Holzhäuser säumen die Straße.
Ihre Erfahrungen haben sie in dem Buch „Zwei am Puls der Erde. Eine Reise zu den Schauplätzen der Klimakrise – und warum es trotz allem Hoffnung gibt“ veröffentlicht. Hier zeigen die beiden jene Bilder, die sie nie mehr vergessen können.
Blick auf Kapstadt. Eine Küstenstadt mit Bergpanorama in der Dämmerung.

Südafrika

erlebte in den vergangenen Jahren eine schwere Dürre – als erster Großstadt der Welt drohte Kapstadt das Wasser auszugehen. Barcelona war zuvor fast an diesen Punkt gekommen, ebenso wie São Paulo und Peking, aber nirgends war die Situation derart eskaliert wie in Kapstadt.
 

Portrait einer jungen afrikanische Frau im Sonnenuntergang, die in die Kamera lächelt.

Ayakha Melithafa ist das Gesicht der südafrikanischen Klimabewegung. Während der anhaltenden Dürre von 2018 hatte ihre Familie monatelang noch weniger Wasser zur Verfügung als ohnehin schon. Die Stadtregierung kündigte den „Day Zero“ an: der Tag, ab dem in allen Haushalten das Wasser abgedreht würde, egal ob Villa oder Wellblechhütte. So weit kam es nie, doch in den ärmeren Vierteln und Townships ist die Wasserkrise weiterhin Realität. Als die damals 17-Jährige herausfand, dass die Klimakrise die Situation in den kommenden Jahren noch verschlimmern wird, fiel sie in ein tiefes Loch. Sie fragte sich: „Warum noch aufstehen, warum noch in die Schule gehen? Warum noch irgendetwas tun, wenn eh alles zugrunde geht?“ Sie schloss sich einer Klima-Organisation an, begann Schulstreiks zu organisieren und reichte mit anderen Jugendlichen vor den Vereinten Nationen eine Beschwerde gegen Industriestaaten wie Deutschland ein, weil diese ihre Zukunft gefährdeten. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos traf sie Greta Thunberg, später lud der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa sie ins Parlament ein. Ayakha gab uns zu verstehen: Das beste Mittel gegen das Gefühl der Hilflosigkeit ist es, sich mit anderen zusammenzuschließen.

Ein junger Pflanzensprössling mit zwei Blättern sprießt aus der Erde.

Mangroven spielen im Kampf gegen die Klimakrise eine Doppelrolle: Die Küstenwälder ziehen große Mengen CO₂ aus der Atmosphäre und schützen das Inland im Falle von Stürmen vor Überschwemmungen. So wie im März 2019, als Zyklon Idai – einer der schlimmsten Wirbelstürme aller Zeiten – auf die Küste Mosambiks prallte. Antonia Teixeira erinnert sich noch genau an jene Nacht: „Als das Dach wegflog und der Regen nicht aufhörte, habe ich alle unsere Pässe und Familiendokumente in einer Klarsichtfolie um meinen Bauch gebunden.“ Heute sagt sie: „Dass niemand verletzt wurde, grenzt an ein Wunder.“ Viele andere Menschen hatten weniger Glück. Über 1.000 Mosambikaner:innen verloren ihr Leben. Dass es in Teixeiras Dorf nicht noch mehr Opfer gab, ist auch ihr Verdienst. Gemeinsam mit den Frauen des feministischen Netzwerks GMPIS und Mitgliedern des örtlichen Mangroven-Komitees hat sie in den vergangenen Jahren angefangen die Küste wiederaufzuforsten. Dreimal in der Woche treffen sich die Ehrenamtlichen und stecken die Stricknadelförmigen Mangrovensamen in den schlammigen Boden. Weltweit wird es auf engagierte Menschen wie Antonia Teixeira ankommen, die lokale Lösungen finden und den Mut nicht verlieren.
 
Die Reise durch alle Klimazonen sollte die größte ihres Lebens werden – doch bald zwingt die Pandemie Raphael Thelen und Theresa Leisgang zur Einsicht, dass nicht nur das Klima kollabiert, sondern dass eine ganze Reihe Krisen unseren Alltag für immer verändern werden. Die Reisenden kommen im Haus des Wandels in Ostbrandenburg unter, wo sie begreifen, dass sie Teil des Systems sind, das diese globalen Krisen verursacht.

England

Auf einem Kipplader fahren mehrere in halbtransparenten Overalls gekleidete Waldbesetzer einen Sandweg entlang. Auf ihrem Banner steht: „We are Jelly Tot! We are not afraid. Smash prisons!”

Die Reise geht weiter, sobald es die Pandemie zulässt, und in England finden sie Hoffnung: in Totnes, einem Camp von Waldbesetzer:innen und unter einem 1.000-jährigen Baum. Angesichts der katastrophalen Lage zählen vielleicht drei Dinge am meisten: der Widerstand gegen die fortschreitende Zerstörung, Ideen für eine neue Welt, die durch solidarische Landwirtschaft, Bürger:innenräte und Kreislaufwirtschaft in „Transition Towns“ schon gelebt werden, und ein innerer Wandel, der uns verstehen lässt: Wir sind Teil der Natur.

Arktis

Froschperspektive: In einem dunklen Raum hantiert ein junger Mann mit dicken Fleischstücken auf einem grillähnlichen Rost.
Ein Nachtzug bringt die beiden schließlich zum nördlichen Polarkreis, dem Endpunkt der Reise. Hier wohnen sie bei einer Familie, die zu den indigenen Sámi gehört – Rentierhirt:innen, die den Tieren im Verlauf des Jahres auf ihren Wanderrouten folgen. Die Arktis ist der Ort der Welt, der sich am schnellsten erwärmt. Aber nicht nur das wird zum Problem für die Rentiere und könnte die Lebensweise der Sámi für immer verändern: Die Regierung vergibt immer mehr Konzessionen an Konzerne, die Kupfer abbauen wollen – die Nachfrage für Elektromotoren steigt. Wie viele indigene Gemeinschaften weltweit setzen sich die Sámi für den Erhalt der Ökosysteme ein. „Wir haben das Land nur von unseren Kindern geliehen“, erklärt Vater Anders. „Und weil wir es nicht besitzen, können wir es auch nicht verkaufen.“
 
In einer kargen Umgebung steht bei blauem Himmel ein Holzhaus. Um das Haus herum befestigen ein Mann und eine Frau Tierfelle. Im Vordergrund stehen viele Gegenstände herum.

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