22. November 2016 | Interview

Das Silo ist ein räumliches Spektakel

Der Designer, Architekt und Künstler Jan Körbes wohnte drei Jahre mit seiner Tochter in einem Futtersilo in Berlin. Auf 13 Quadratmetern hatte er einen Koch- und Wohnbereich eingerichtet. Die Schlafplätze erreichten die zwei über eine Kletterwand. Fast alles im Silo hat Körbes auf der Straße gefunden und umgearbeitet. Mit seinem Kollektiv refunc verwandelt er alles und jeden Raum in etwas Bewohnbares. Ein Besuch im Silo.

TEXT Zola Schumacher |  FOTOS Jan Klee
Mann schaut aus dem Fenster seines selbstgebauten Hauses, das aus einem Silo besteht.

Jan Körbes hat in Lüttich, Weimar, Aachen und Florenz Architektur studiert. Er arbeitete in einem holländischen Architekturbüro und war für die Planung von Gewerbe- und Wohnhäusern zuständig. Später gründete er mit dem Architekten Denis Oudendijk „Refunc“, ein Kollektiv, das im Grenzbereich von Architektur, Kunst und Design agiert. Seit 2013 lebt Körbes in Berlin.

Mann hängt an einer Indoor-Kletterwand in der Küche seines aus einem Silo bestehenden selbstgebauten Hauses.

Jan, du hast drei Jahre in diesem Futtersilo gewohnt. Es sei auch ein Selbstexperiment, um zu schauen, wie viel Platz der Mensch braucht, um glücklich zu sein, hast du einmal gesagt. Jetzt wohnst du nach drei Jahren nicht mehr hier, sondern in einer Wohnung. Haben dich 13 Quadratmeter nicht glücklich gemacht?
Ich bleibe dabei: Du kannst sehr glücklich in einem kleinen Raum sein. Du merkst, was ein Raum braucht, um dort zu leben. Bevor ich ins Silo gezogen bin, habe ich zwei Jahre in einem Wohnwagen gelebt. Der hatte ungefähr nur halb so viel Raum.  Ein Wohnwagen ist so effektiv entwickelt, dass er räumlich schon wieder sehr langweilig ist. Das Silo ist ein räumliches Spektakel. Wir hatten schon 35 Leute gleichzeitig hier. Man klettert 30 Mal pro Tag die Kletterwand ins Schlafzimmer hoch und runter. Das macht den Geist frei. Vor allem dieses aktive Leben vermisse ich in der Wohnung enorm.


Du bist wegen der Liebe ausgezogen. Doch ihr hattet erst überlegt, ob ihr vielleicht ein zweites Silohaus baut. Warum habt ihr das nicht gemacht?
Wir von Refunc arbeiten immer mit bestehenden Über­bleib­seln, und ein neues Futtersilo zu finden, wäre mir etwas zu forciert gewesen.


Du kommst aus einer Seglerfamilie und sagst, du hättest einen Großteil deiner Kindheit auf Schiffen verbracht. Wie hat dich das beeinflusst?
Erstens merkt man auf einem Segelboot irgendwann, dass es keine Ecke gibt, die keine Aufgabe hat. Das ist hier im Silo nun auch so. Und zweitens ist ein Schiff eine unglaublich schöne Ausgangsform für die Frage, wie man Probleme überhaupt lösen kann. Auf dem Segelboot bist du gezwungen, mit dem, was du hast, weiterzukommen. Du musst dich fragen: Wo bin ich? Was habe ich? Das ist das Improvisieren, was wir im Kollektiv heute professionell umsetzen.
Mein Partner in Holland ist früher auch ganz viel gesegelt. Irgendwann haben wir gemeinsam gemerkt, dass wir völlig anders als andere denken, was das Thema Konstruktion angeht. Wir sagen: Ich hab eine Idee und dann ist die da und wird umgesetzt, ohne sich einen Monat hinzusetzen und erstmal zu zeichnen. Wir nennen das dynamische Prozess-Architektur.
 

Was passiert jetzt mit dem Silohaus?
Das Haus hier muss vor allem geliebt werden. Das ist mit so viel Mühe und Detail und Verständnis gebaut worden. Wenn man das leer stehen lässt, dann wird das ganz traurig. Die letzten zwei Monate hat eine Künstlerin aus Chile hier gewohnt und jetzt wird es Teil eines Residence-Programms für Künstler.
 

Ihr nennt eure Arbeiten „eher logisch als ökologisch“. Wie ist das gemeint?
Es gibt Menschen, die finden ein Stück Treibholz und sehen darin den Baum, und dann fangen sie an, es so zurechtzusägen, dass es wieder die Form eines Baumes hat. Wenn du versuchst, etwas wieder in seine Ursprungsform zu versetzen, kostet das Energie. Vielleicht kann es ja etwas in der Form, in der es nun ist? Irgendwann findest du eine Ecke, wo der Gegenstand genau dranpasst. Ohne viel Energie hinzuzuführen. Das ist ideal. Man ist logisch und die Konsequenz ist ökologisch.
 

Was ist denn der letzte Gegenstand, den du gesehen hast und der dich faszinierte?
Körbes holt sein Handy raus und scrollt durch seine Bilder.
Hier.
Auf einem Foto sieht man viele Betonsilos, die aneinander hängen.
Das ist wie das Futtersilo – nur in Groß und ganz viele zusammen.

Mann schaut aus dem Fenster seines selbstgebauten Hauses, das aus einem Silo besteht.
Das Silohaus steht auf dem Gelände des Zentrums für Kunst und Urbanistik in Moabit. Nun, da Körbes selbst nicht mehr im Silohaus lebt, wird es als Unterkunft für Künstler dienen.

Eine Silostadt?
Ja. Silo-City. Wenn ich so was sehe, braucht mein Kopf drei Sekunden und schon sehe ich mögliche Kletterwände und Schlaf¬etagen und Swimmingpools oben auf dem Dach.


Du sagst: Ich rede mit den Gegenständen. Das klingt etwas esoterisch ...
Dabei ist es genau das Gegenteil. Ein Beispiel. – Körbes greift zu einem Löffel. – Die Frage ist: Was kann man mit einem Löffel alles machen? Der Löffel kann dir zehn Geschichten erzählen. Aber du musst probieren. Wenn man mehrere Löffel hat, merkt man, wie sie zusammenpassen. Und irgendwann entwickelt sich eine Form. Guck mal: Ich kann ihn biegen, aber er bricht nicht. Jetzt merke ich, wie stark er eigentlich ist. Vielleicht ist er ein Brecheisen? Aber: Manchmal wollen Sachen und manchmal wollen Sachen nicht. Wenn ich jetzt den Deckel dieses Stiftes auf den Löffel stecke, dann passt das nicht. Du suchst also weiter und irgendwann passt es doch und dann weißt du, dass du auf dem richtigen Weg bist. So finden wir Lösungen.


Glaubst du, dass die meisten Menschen zu festgefahren sind, um ganz frei darüber nachzudenken, was ein Löffel noch sein kann?
Irgendwann wird es eine Refunc-App geben. Stell dir vor: Du sitzt am Strand einer einsamen Insel, es gibt nichts, außer einem Löffel, einem Feuerzeug und einem Stift. Dann gibst du in die App ein: Ich hab das und das und brauche Folgendes. Oder du fragst: Was kann ich damit machen? Dann wird dir die App erklären, was deine Optionen sind, und ein Video erklärt, wie es geht. Jeder kann dort seine Manuals mit anderen teilen und helfen.


Ihr wollt also etwas schaffen, damit die Menschen wieder fähig sind, die Vielseitigkeit des Löffels zu erkennen?
Warum wir das alles tun, ist, um Menschen zu inspirieren. Dass sie nicht nur den Löffel sehen. Dass sie wirklich hinschauen, lesen und verstehen. Aber das Brauchen und das Wollen ist ein großer Unterschied auf dieser Welt.


Wie meinst du das?
Wenn man etwas will, dann braucht man es oft nicht. Wenn ich einen neuartigen Löffel entwickeln will, dann mache ich das vielleicht, weil ich das schön finde. Aber wenn jemand in Indien sitzt, eine Suppe und eine Colaflasche, aber kein Geld für einen Löffel hat, dann braucht er etwas. Da wird es nicht lange dauern, bis er sich aus der Colaflasche einen Löffel gemacht hat. Wir leben heute in einer Zeit, in der man sich entscheidet: Kaufe ich etwas, das ich haben will – oder finde ich eine andere Lösung, die logischer ist? Das wollen wir stimulieren.
Wir sehen uns etwas als Feuerwehr, die mit Erfahrungsschatz sowie Findungsreichtum helfen kann, für den Fall, dass es Probleme gibt.


Ihr arbeitet viel in Afrika. Herrscht dort eine größere Begeisterung für eure Arbeit, weil einfach noch mehr gebraucht wird?
Wir können von den Menschen in Afrika viel lernen im kreativen Umgang mit Restmaterial. In weit entwickelten Ländern wie Deutschland ist es für mich überraschend, dass man hier erst wieder lernen muss, zu improvisieren.


Wann geht uns diese Fähigkeit verloren?
Schule. Ausbildung.


Warum?
Ich sehe das bei meiner Tochter. Kinder sind so was von frei und genial – bis das Thema Erziehung und Schule dazukommt. Ab dann gibt es wahnsinnig viele Faktoren, wie man zu sein hat, und nicht, wie man ist.


Was passiert eigentlich, wenn deine Tochter zu dir kommt und sagt, sie hätte gerne Ikeamöbel?
Sie ist gerade zehn und wenn wir zusammen Playmobil spielen, sagt sie immer: „Papa, du machst komische Häuser. Kannst du nicht mal ein normales Haus bauen? Papa, einmal!“ Das ist ex¬trem schwierig für mich, das wirklich so hinzulegen, wie es sein muss. Das Wichtigste ist, dass man Menschen nicht zu Sachen zwingt und ihnen Freiraum lässt. Manchmal muss ich dann wirklich normal tun, weil sie das braucht. Das finde ich völlig in Ordnung. Ich hab dabei keine Angst vor dem Normalsein.

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