1. September 2023 I Ausgabe 23

Im Kreislauf der Dinge

Im CRCLR Haus im Berliner Rollbergkiez wird die Vision des zirkulären Bauens, Denkens und Handelns mit Leben erfüllt.
Im Kreislauf der Dinge
Foto: Impact Hub Berlin

Holz und Glas satt. Dicke Schrauben in den Holzbalken, rote und weiße Steine ohne Putz und silberne, unverkleidete Metallrohre. Im CRCLR Haus (gesprochen: circular) wirkt auf den ersten Blick alles etwas unfertig. Beim zweiten Hinsehen fasziniert die Gestaltung. Sie vermittelt ein Gefühl von Offenheit, Transparenz – sie lässt Raum zum Atmen, zum Freibewegen, zum Andersmachen. Hier, im Herzen von Berlin-Neukölln, auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei, wird die Zukunft des Bauens und Wirtschaftens neu gedacht. Und zwar zirkulär, wie der Name schon sagt. Denn das CRCLR Haus soll ein Zeichen setzen: für klimagerechtes Bauen und gegen das Wegwerfen von Rohstoffen. Für ein System, in dem jedes Material in einem Kreislauf wiederverwertet werden kann.

„Das CRCLR Haus zeigt, wie alte Gebäude erhalten und wie wiederverwendete, nachwachsende und recycelte Materialien eingesetzt werden können, um das Bauen von morgen positiv zu verändern“, so Margit Sichrovsky vom Architekturbüro LXSY in Berlin. Gemeinsam mit ihrer Partnerin Kim Le Roux hat sie den Innenausbau übernommen. Eine Galerie teilt die alte Fabrikhalle in zwei Ebenen ein. Ihre Gestaltung hat sich erst im Laufe der Zeit ergeben. Vieles hing davon ab, was die Architektinnen an Materialien auftreiben konnten. 70 Prozent sind recycelt, wiederverwendet oder nachwachsend. Neu sind die Wände aus Hanf und Stroh. Kabel, Gitter, Fenster, Fliesen, Treppenstufen oder Türen stammen von Abrissbaustellen, aus Hotels, Clubs und Büros, die dafür keine Verwendung mehr hatten. Andere Dinge haben die Macherinnen auf eBay ersteigert und sie haben regelmäßig Tischlereien abgeklappert, um Holzverschnitte und Reststücke zu bekommen. Nichts ist verklebt oder verleimt und alles lässt sich problemlos wieder ausbauen und woanders einbauen.Materialien nicht wegwerfen, sondern in neuen Kreisläufen wiederverwenden – das ist die Idee des zirkulären Bauens. Um die CO2-Emissionen zu verringern und die Klimaziele zu erreichen. Wer denkt, dabei kämen nur langweilige, weil zweckmäßige Bauten heraus, irrt: „Als Architekt:innen ist uns wichtig, mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass die Ästhetik in einem zirkulären und nachhaltigen Gebäude leidet. Trotz der Einfachheit und der vielfältigen Materialien, die im CRCLR Haus verwendet wurden, ist das Design klar, homogen und hochwertig“, sagt Margit Sichrovsky.

70 Prozent der Materialien sind recycelt, wiederverwendet oder nachwachsend. Nichts ist verklebt oder verleimt und alles lässt sich problemlos wieder ausbauen und woanders einbauen.

Im Februar 2022 wurden die Räume an Impact Hub Berlin übergeben, das zu einem weltweiten Netzwerk gehört und sich dafür einsetzt, die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu unterstützen. Dort, wo früher Bierfässer lagerten, ist ein Co-Working-Space mit offenen Sitz- und Arbeitsflächen, aber auch abgetrennten Räumen entstanden. Es gibt Telefonboxen, ein Podcast-Studio, eine Bücherecke und ein Café, in dem Fairtrade-Kaffee und -Tee sowie nachhaltige Lebensmittel angeboten werden. Auf etwa 3.500 Quadratmetern können die Mitglieder des Impact Hub Berlin – mittlerweile etwa 500 Unternehmen und Organisationen – arbeiten und sich zu Themen wie Kreislaufwirtschaft, grüne Technologien, Diversität, Inklusion, Teilhabe und nachhaltige Lebensmittel austauschen und Ideen gemeinsam vorantreiben. In den Werkstätten und Labs tüfteln Start-ups an neuen Wegen, um Umweltbelastungen und Abfall zu reduzieren. „Wir sind davon überzeugt, dass wir gemeinsam und durch starke Partnerschaften mehr erreichen können, als wenn wir isoliert voneinander arbeiten. Unser Arbeitsort ist auch in Gestaltung und Konzept eine Verkörperung dieses Ansatzes“, erklärt Héloise Le Masne, die als Operations Director für das Impact Hub tätig ist.

Die Transformation der alten Halle ist noch nicht abgeschlossen: Sie wird mit 2,5 Geschossen aufgestockt. Dort entstehen weitere Räume zum Arbeiten, aber auch zum Wohnen. Das Gebäude ist ressourcen- und emissionsarm und in ein Energiekonzept ingebettet,das mit dem Nachbarhaus gekoppelt ist. Wärmepumpen beheizen die Räume, Strom wird durch Photovoltaikanlagen sowie mittels eines Blockheizkraftwerks erzeugt. Das CRCLR Haus soll als Leuchtturmprojekt ein Vorbild sein für die Bauwende. Im Mai 2023 hat dort die erste Transformations-Werkstatt des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen stattgefunden.

Am Ende des Rundgangs durch das CRCLR Haus bleibt das Gefühl, durch ein Stück Zukunft gestreift zu sein. Das Projekt im Neuköllner Rollbergviertel zeigt, wie es gehen könnte. Wie man den ökologischen Fußabdruck von Gebäuden – auf deren Konto immerhin 40 Prozent der weltweiten CO2- Emissionen geht – reduzieren könnte. Wie man alte Gebäude erhalten, Müll vermeiden und trotzdem die Lebens- oder Arbeitsqualität steigern könnte. Im Einklang mit den Klimazielen. Im Kreislauf der Dinge.