23. Mai 2017 | Ausgabe 13

Morgenstadt

Weltweit leben mehr als die Hälfte aller Menschen in Städten. In Deutschland sind es sogar drei von vier und jeden Tag kommen mehr dazu. Das bedeutet aber auch: mehr Smog, mehr Stau, mehr Müll. Wie können wir in Zukunft gemeinsam in der Stadt fahren, essen, wohnen, leben? Eine Reise zu sechs Projekten in Berlin, die Antworten geben wollen.


TEXT Nora Marie Zaremba  |  FOTOS Jan Stradtmann

Mensch sitzt im Gegenlicht vor dem Fenster eines Hochhauses. Im Hintergrund der diesige Blick über die Häuser Berlins.

Es piept und ruckelt, als Olli anfährt. „Bitte festhalten!“, sagt der junge Mann, der zur Sicherheit mit an Bord ist. Im Schritttempo fährt Olli ein Stück voran, navigiert um die Ecke und stoppt abrupt. Gut 15 Meter vor dem Bus überquert ein Mann die Straße. „Olli geht auf Nummer sicher“, erklärt der Fahrbegleiter und muss selbst ein bisschen lachen. Denn Olli ist kein emphatischer Mensch, sondern ein selbstfahrender, elektrobetriebener Minibus, der auf dem Berliner EUREF-Campus seine Runden dreht. Auf dem knapp fünf Hektar großen Gelände haben sich Unternehmen, Start-ups und Forschungseinrichtungen angesiedelt, die alle etwas mit Umwelt- und Klimaschutz zu tun haben. Ein guter Ort also, damit sich Olli ausprobieren darf, bevor er auf den Straßen Berlins fährt und so den städtischen Verkehr ein Stück weit umweltfreundlicher macht.

Wie die urbane Mobilität sauberer gestaltet werden kann, ist nur eine von vielen Fragen, die sich unsere Städte in Zukunft stellen und beantworten müssen. 2050 werden bis zu 80 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben, so prognostizieren es die Vereinten Nationen. Für die Städte bedeutet das mehr Verschmutzung, mehr Verkehr und mehr Müll. Auch müssen die neuen Bewohner untergebracht und ernährt werden. Damit Städte angesichts dieser Herausforderungen nicht den ökologischen und sozialen Kollaps erleben, braucht es dringend neue und nachhaltige Konzepte in allen Bereichen. Die gute Nachricht ist: Schon heute arbeiten Unternehmer, Forscher und Bürger an Lösungen – und das auch in Berlin. Sie haben beispielsweise einen Baum entwickelt, der Feinstaub schluckt. Sie arbeiten an Ideen für eine bessere Müllentsorgung. Sie wollen große Dachfarmen zur Lebensmittelversorgung errichten oder die Städter in komfortablen, aber Platz sparenden Wohntürmen unterbringen. Und auch lokale Initiativen der Einwohner bringen den nachhaltigen Wandel in der Stadt voran. Die Suche nach der Morgenstadt und ihren Gestaltern beginnt schon heute. Zum Beispiel bei Olli, dem autonomen E-Bus.

Porträt von Andreas Knie, dem Geschäftsführer vom Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel in Berlin (InnoZ)

„In ein paar Jahren will niemand mehr in einer Stadt ein eigenes Auto besitzen.“

Andreas Knie, InnoZ

Leuchtend rot ist der Bus und gerade mal vier Meter lang. Einige seiner Bauteile, etwa die Radkappen, kommen aus dem 3-D-Drucker. 30 Sensoren an Vorder- und Nebenseite übermitteln Ollis Bordcomputer, wo Hindernisse liegen, damit der Bus rechtzeitig stoppt. Wie viele Meter es bis zur nächsten Ecke sind, hat der Computer mittlerweile gelernt. Irgendwann, wenn Olli ausgiebig getestet ist, soll der selbstfahrende Bus auf der Strecke zwischen EUREF-Campus und dem nahegelegenen Berliner Südkreuz eingesetzt werden. Olli ist damit nicht nur ein moderner Bus, sondern ein Symbol dafür, wie die Mobilität der Zukunft aussehen könnte. Das zumindest glaubt einer seiner Erschaffer.

Von seinem Schreibtisch aus kann Andreas Knie, 56 Jahre alt, Brille, graue Haare bis zur Schulter, den Bus Olli gelegentlich vor dem Fenster vorbeifahren sehen. Knie ist Geschäftsführer seines eigens gegründeten Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel in Berlin (InnoZ). Für Knie steht außer Frage, dass eine Stadt der Zukunft auf Benzin- und Dieselfahrzeuge verzichten muss.

Zum einen gibt es in einer wachsenden Stadt immer weniger Raum, der zu wertvoll ist, als dass er mit parkenden Autos blockiert wird. Zum anderen verschmutzen Autos die Luft. Das Bundesumweltamt hat jüngst geschätzt, dass pro Jahr mehr als 45.000 Deutsche aufgrund von Luftverschmutzung sterben. Rußpartikel aus dem Auspuff von Autos tragen ebenso zur Feinstaubbelastung bei wie der Abrieb von Bremsen, Reifen und Kupplungen.

Stellt Knie sich die Mobilität in naher Zukunft vor, sieht sie so aus: Die Menschen fahren in einer Stadt wie Berlin mit Untergrund- oder Straßenbahnen, mit Autos, Taxis oder Bussen, die mit einer Batterie oder Wasserstoff betrieben werden. Auch Handwerkerbetriebe oder Pflegedienste haben auf E-Autos umgestellt, da dieselbetriebene Fahrzeuge in deutschen Innenstädten längst ver­boten sind. Fahrräder oder Autos werden geliehen, wenn benötigt. Zudem suchen Apps die schnellsten und günstigsten Verbindungen raus, alles möglichst stau- und pannenfrei. Hierzu soll auch autonomes Fahren beitragen, wie es mit Olli getestet wird.

„In ein paar Jahren will niemand mehr in einer Stadt ein eigenes Auto besitzen“, sagt Knie und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Er selbst hat seit vielen Jahren keines mehr. Glaubt er wirklich, die Deutschen würden freiwillig auf ihr Statussymbol Auto verzichten? Bei dieser Frage richtet Knie sich auf, beugt sich an seinem Schreibtisch weit nach vorne und schaut fast belustigt. „Wenn man die Städter fragt, dann sagen sie einem, dass sie sich sogar weniger Autos wünschen würden.“ Und: „Untersuchungen zeigen, dass die Städter drei Viertel ihrer täglichen Wege ohne Auto zurücklegen. Es steht also die meiste Zeit ungenutzt herum.“ Für Knie sind das Indizien dafür, dass sich die Deutschen vom Auto bereits verabschieden.

Knie und sein über 30 Köpfe starkes Team am InnoZ haben dem herkömmlichen Auto längst den Kampf angesagt. In verschiedenen Projekten testen sie, was in der sauberen Mobilität von morgen alles möglich ist. Da gibt es zum Beispiel Induktionsplatten, die auf dem Parkplatz vor dem InnoZ in den Straßen­belag eingelassen sind. Fährt das E-Auto auf eine der Platten, lädt es sich vollkommen kontaktlos mit Strom auf. Es braucht weder Ladesäule noch Kabel. So soll Elektromobilität für die Nutzer bequemer werden.

E-Autos sind aber nur dann wirklich klimafreundlich, wenn grüner Strom mit im Spiel ist. Deshalb versuchen die Forscher erneuerbare Energien und E-Autos intelligent zusammenzuschalten. Strom kommt aus der Photovoltaik-Anlage vom Dach, von Kleinwind-Anlagen oder vom Blockheizkraftwerk. Der saubere Strom soll, wenn alles gut funktioniert, die E-Autos auf dem Parkplatz gleich mit versorgen. Irgendwann, so die Idee der Forscher, können viele E-Autos im parkenden Zustand zusammengeschaltet werden und selbst als Batterien dienen. Sie speichern überschüssigen Strom und geben ihn dann ans Netz ab, wenn er benötigt wird – zum Beispiel abends oder nachts, wenn die Solaranlagen nichts liefern.

„Die Technologie ist vorhanden. Nun muss es nur umgesetzt werden“, schlussfolgert Knie. Er würde sich wünschen, dass die Politik härter durchgreift. So müssten die Grenzwerte für den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Schadstoffen weiter gesenkt werden. Denn dann würden sich auch deutsche Auto­hersteller eilig daran machen, gute Elektrofahrzeuge auf den Markt zu bringen.

„Unser CityTree spart Platz und kann überall dort stehen, wo es nicht möglich ist, Bäume zu pflanzen.“

Liang Wu, Green City Solutions

Portrait von Liang Wu, Victor Splittgerber, Dénes Honus und Peter Sänger vom Start-Up Green City Solutions
Vom InnoZ aus sind es nur ein paar Schritte hinüber zu einem Start-up, das von dem stickigen Abgase-Smog ebenfalls die Nase voll hat – und mit einer ungewöhnlichen Idee die Luftqualität in Städten verbessern will. „Green City Solutions“ hat den „CityTree“ entwickelt. Dabei handelt es sich genau genommen nicht um einen Baum, sondern um eine mit Moosen überzogene Wand. Sie absorbiert die gleiche Menge Feinstaub wie bis zu 275 „normale“ Stadtbäume.
 
Im Büro des Start-ups sitzen ein paar 20- bis 30-Jährige an Tischen und hämmern auf ihre Laptops. „Wir verbringen die eine oder andere Nacht auch mal im Büro“, erklärt Liang Wu. Mit Victor Splittgerber, Dénes Honus und Peter Sänger gehört Wu zum Gründerteam. Für die Startupper und die mittlerweile 15 Mitarbeiter gibt es viel zu tun: Termine mit Kunden auf der ganzen Welt wollen vorbereitet werden und die Presse ist häufig da. Das Thema Luftverschmutzung in der Stadt und was man dagegen tun kann, scheint viele zu interessieren.
 
Wie der CityTree funktioniert, möchte Wu live erklären. Mit der S-Bahn geht es zum Bahnhof Südkreuz, wo einer der künst­lichen Bäume steht. Auf der Fahrt erzählt der 32-Jährige, wie die Idee zur Mooswand überhaupt entstanden ist. „Ich habe einige Zeit in Peking gearbeitet. Durch den Smog kommt es einem so vor, als sei es die ganze Zeit nebelig.“ Zurück in Deutschland litt Wu unter Asthma. Seine drei Mitgründer machten bei Auslandsreisen ähnliche Erfahrungen. Das Team entstand während des Studiums an der Technischen Universität Dresden und der HTW Dresden. Wu studierte Medieninformatik, die anderen beschäftigten sich mit Urban Gardening und nachhaltiger Stadtentwicklung. Über einen Professor stießen sie auf die Fähigkeit von Moosen, Feinstaub zu binden. Von der ersten Projektskizze bis zur fertigen Wand vergingen gerade einmal zwei Jahre.
 

Der vier Meter hohe und drei Meter lange CityTree steht ganz frei an der Bushaltestelle. Die Wand ist in einen Aluminium­rahmen eingefasst. Auf beiden Seiten reihen sich Plastikköpfchen über- und nebeneinander, es sind jeweils genau 841 Stück. In ihnen wächst Moos der Sorte Hypnum. „Moose beziehen Nährstoffe nicht über ihre Wurzeln. Deshalb schlucken sie große Mengen Feinstaub und verarbeiten ihn zu Biomasse. Sie funktionieren eigentlich wie ein biologisches Mikrofaser-Staubtuch“, erklärt Wu und fasst das Moos an. Durch den langen Winter fühlt es sich noch etwas trocken an. Die Menge am CityTree bindet etwa 240 Tonnen CO₂-Äquivalente jährlich.

70 in die Wand eingelassene Sensoren messen zahlreiche Daten, wie etwa die Feuchtigkeit in den Töpfen, die Außentemperatur oder den Schadstoffgehalt in der Luft. Der Strom für die Technik kommt von einer Solarzelle auf dem Gestell. Ein 1.000-Liter-Tank im Fuß der Wand sorgt für ausreichend Wasser. Auf beiden Seiten gibt es Sitzbänke, die Passanten zum Ausruhen einladen. „Im Hochsommer würde man merken, dass die Luft rund um die Wand deutlich kühler ist“, erklärt Wu. So kann der CityTree auch gegen die Hitzeinseln in einer Großstadt wirken.

Green City Solutions verkauft seine Wand an Städte und Unternehmen. Der Pflanzenfilter am Südkreuz gehört der Deutschen Bahn, was kaum zu übersehen ist angesichts des großen weiß-roten Schilds rechts oben an der Installation. 25.000 Euro hat die DB für die Wand gezahlt. Hinzu kommen nochmal Wartungskosten von etwa 1.000 Euro jährlich. Damit besonders Unternehmen neben dem ökologischen Nutzen einen Anreiz haben, den CityTree aufzustellen, ist an einer Seite der Wand ein Bildschirm installiert. Auf diesem kann Werbung geschaltet werden. Eine Infotafel an der anderen Seite erklärt den Passanten den Nutzen der Wand. Mittlerweile stehen europaweit schon zehn der CityTrees, darunter in Dresden, Hannover, Oslo und Paris.

Soll die Wand bald echte Bäume ersetzen? Wu winkt ab. „Ach nein. Wir sehen uns als Ergänzung zur herkömmlichen Stadtbegrünung. Unser Baum spart Platz und kann damit überall dort stehen, wo es eben nicht möglich ist, Bäume zu pflanzen und Parks anzulegen.“ Für eine Stadt ist es sogar günstiger, in CityTrees zu investieren als in echte Bäume. Pro Stück und Jahr kosten Letztere mehr als 3.000 Euro in der Pflege. Aber: Der CityTree „lebt“ nur zehn Jahre, Bäume wuchern deutlich länger. Und so ein bisschen echtes Grün in der grauen Stadt ist ja auch ganz schön – nicht nur für das Auge, sondern auch für den Magen.

Porträt von Sara Wolff und Hans Jörg Schütz von der Dachfarm

„Wir können nicht länger davon ausgehen, dass die Bauern im Umland unseren Bedarf an Lebensmitteln allein decken werden.“


Sara Wolff, Dachfarm Berlin

Bei der Dachfarm Berlin arbeitet man noch mit echten Pflanzen, denn es geht um die Frage, wie die Stadtbevölkerung in Zukunft ernährt werden kann.

Neben der Eingangstür zu den Büroräumen in einem Kreuzberger Loft hängt eine Mini-Version einer begrünten Fassade. „Bis 2050 werden 80 Prozent der Menschen in Städten wohnen. Da ist es nur logisch, den Anbau in die Stadt zu holen“, sagt Sara Wolff, die neben ihrem Kollegen Hans Jörg Schütz im Besprechungszimmer sitzt. Was genau die Dachfarm umsetzen möchte, zeigt die Skizze eines Pilotprojekts, die vor den Gründern Wolff und Schütz auf dem Tisch liegt: In einem Gewächshaus, das auf einem großen Dach mitten in der Stadt steht, wachsen Salate und Kräuter. Der Anbau erfolgt hydroponisch, es wird also keine Erde verwendet, sondern Salate und Kräuter stehen in einer Lösung aus Stickstoff, Phosphor, Kalium und weiteren Nährstoffen. Zudem läuft die Versorgung der Pflanzen über Sensoren vollautomatisch. „So ein System lässt sich zwar nicht bio-zertifizieren, aber die Technologie stellt einen hohen Vitamin- und Nährstoffgehalt sicher und einen guten Geschmack“, verspricht Wolff. Nach Natur in der Stadt klingt das allerdings auch nicht gerade – und das soll es auch gar nicht.

Wolff ist studierte Landwirtin und wuchs auf einem Hof in Wolfenbüttel auf. Als sogar die Bauern aus ihrer Heimat über ausbleibenden Niederschlag klagten, wusste Wolff, dass Alternativen hermüssen. „Wir können nicht länger davon ausgehen, dass die Bauern im Umland unseren Bedarf allein decken werden“, sagt die 40-Jährige. Vor einigen Jahren stellte sie einen ersten Entwurf ihrer Dachfarm-Idee öffentlich vor. So traf sie auf den 53-jährigen Marketingexperten Hans Jörg Schütz. Er arbeitete lange Zeit in der Kulturszene. Mit Landwirtschaft hatte er rein gar nichts zu tun. „Die Frage, wie wir uns in Zukunft ernähren werden, ist eine der drängendsten überhaupt“, sagt Schütz. Nicht nur für Bauern, sondern für uns alle.  Deshalb ist er beim Projekt mit eingestiegen.

Mit gut gelauntem Stadtgärtnern für Landlust-Abonnenten hat die Dachfarm nichts zu tun. „Wir wollen in den Massenmarkt. Unsere Dachfarmen sollen irgendwann tatsächlich zur Ernährung der Stadtbevölkerung beitragen“, betont Schütz. Das geeignete Dach muss allerdings einige Voraussetzungen mitbringen. Die Installation eines Gewächshauses lohnt sich erst ab einigen hundert Quadratmetern Fläche. Auch muss die Statik stimmen. Im Projekt ZFarm, einer Forschungsinitiative des Leibniz-Instituts für Agrarlandschaftsforschung und zwei weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen, wurde das Potenzial für Dachfarmen in Berlin errechnet. Danach bietet die Hauptstadt insgesamt mehr als acht Millionen Quadratmeter ungenutzte Dachfläche, die von der Größe und Statik her für die Installation von Dachfarmen geeignet wäre. Mit dieser Fläche könnten 242 Millionen Kilogramm Gemüse pro Jahr für zwei Drittel der Berliner Bevölkerung produziert werden.

Bevor Wolff und Schütz ein Pilotprojekt starten können, braucht es noch einiges an Vorarbeit. Die beiden haben sich ein Netzwerk aus Wissenschaftlern, Architekten, Ingenieuren und Stadt­planern zusammengestellt, mit dem ein erstes Konzept erarbeitet wurde. Einblicke in die praktische Forschung bekommt die studierte Landwirtin Wolff beispielsweise dann, wenn sie regelmäßig die Gewächshäuser der Humboldt-Universität in Dahlem besucht. Hier erforschen die Wissenschaftler, wie der Energieverbrauch eines Gewächshauses möglichst auf null gesenkt werden kann. In Dahlem wachsen überwiegend Tomaten. Die Dachfarm Berlin will sich jedoch auf schnell wachsendes, wasserreiches Gemüse wie eben Salate und Kräuter spezialisieren.

Zentraler Punkt im Konzept der Dachfarm sind die möglichst geschlossenen Energie- und Stoffkreisläufe zwischen dem Gebäude und seiner Dachfarm. „Alles, was wir verwenden, wird auch wieder verwendet. Es gibt keinen Abfall“, sagt Wolff. Die Pflanzen werden mit aufbereitetem Regenwasser versorgt. Die Wärme für die Dachfarm kommt von der Abwärme der umstehenden Gebäude. CO₂, das die Pflanzen für ihr Wachstum brauchen, kommt ebenfalls von dem, was die anderen Gebäude abwerfen. Energie liefern kleine Windanlagen oder lokale PV-Anlagen.

Das soll die Farm auf dem Dach nicht nur umweltverträglich machen, sie soll sich für ihre Inhaber auch wirtschaftlich rentieren. Wolff und Schütz sprechen derzeit vor allem mit großen Supermarktketten, um ein erstes Pilotprojekt zu realisieren.
Supermärkte sind die idealen Partner, weil sie über große Dachflächen verfügen. „Das ist ja dann der Clou, wenn der Salatkopf ganz frisch von der Farm auf dem Dach eine Etage weiter unten im Supermarkt landet“, sagt Wolff. So fällt dann auch der Transportweg mit dem Lastwagen weg.

Ob und wann das Vorhaben konkreter wird, ist noch nicht absehbar. Auch darüber, was die Realisierung eines ersten Pilotprojekts kosten wird, möchte die Dachfarm nichts sagen. „Einer muss sich trauen und den ersten Schritt machen. Dann ziehen die anderen nach“, glaubt Schütz. Die regionalen Bauern ersetzen kann die Dachfarm übrigens nicht. „Weizen, Kartoffeln oder Mais brauchen große Ackerflächen und haben zu lange Vegetationszyklen. Das können wir in einer Dachfarm gar nicht leisten und wäre auch unwirtschaftlich“, erklärt Wolff.

„Was wir nicht mehr brauchen, sollten wir verschenken, nicht wegschmeißen.“


Frieder Söling, Ideenlabor der BSR

Porträt von Frieder Sölingdem Koordinator des Ideenlabors der Berliner Statdtreinigung
Leben mehr Menschen in der Stadt, bedeutet das zwangsläufig auch mehr Müll. Und das ist dann ein Fall für die Berliner Stadtreinigung. Die hat ein eigenes Ideenlabor eingerichtet, um mit unterschiedlichen Visionären die Müllentsorgung und Reinigung der Zukunft zu erdenken. Frieder Söling, 55, schmale Statur, breite Begeisterung, sitzt in seinem Büro bei der BSR. Ein Stuhl aus alter orangefarbener
Arbeitskleidung und ein Hocker aus Restholz von Tischlereien, Baumaterial sowie zerkleinerten Getränkekartons deuten an, dass es bei ihm um einen kreativen Umgang mit dem Thema Müll geht.
 
Söling ist Koordinator des Ideenlabors. Mit einem Team von 15 Mitarbeitern stößt er Projekte in verschiedensten Bereichen an, die stets mit Zukunft und Müll zu tun haben. Da gab es beispielsweise ein Vorhaben mit dem Studiengang Produktdesign der Fachhochschule Potsdam. Ein Semester lang durften sich die Studenten überlegen, was in Sachen Müllentsorgung besser gemacht werden kann. „Vorgaben gab es keine“, erzählt Söling. Die Ergebnisse wurden in einer Broschüre festgehalten, die nun bei Söling auf dem Schreibtisch liegt. Zu sehen ist da „Ono“, das Konzept für eine neue Art der Mülltrennung: In der Küche wird der Müll eingeworfen, über Rohre gelangt er in die richtige Tonne im Boden und wird dort direkt abgeholt. Lästiges Müll-Runtertragen entfällt auf diese Weise. Oder es gibt „YAP“, wiederverwendbare Plastikbehälter, die gegen Pfand im Supermarkt erhältlich sind. So wird Verpackungsmüll vermieden.
 
Sölings Telefon klingelt. Am anderen Ende der Leitung sind Studenten, die mit Söling über ein Projekt sprechen möchten. Es geht um autonome, elektrisch betriebene Mülleimer, die sich in Zeitlupe über einen öffentlichen Platz bewegen könnten. Vielleicht würden die Menschen dann ihren Müll direkt in den langsam fahrenden Tonnen entsorgen anstatt daneben. „Es ist gar nicht klar, ob sich die Idee so verwirklichen lässt. Aber genau dieser Frage wollen wir auf den Grund gehen“, sagt Söling, als er das Telefon aufgelegt hat.
 
Was muss passieren, damit wir in Zukunft weniger Müll haben? „Am besten schon beim Produkt ansetzen“, antwortet Söling. Es müssten weniger Materialien verwendet werden und sie müssten möglichst umweltfreundlich sein. „Außerdem müssen wir alle unsere Dinge viel länger nutzen, als wir es heute tun. Was wir nicht mehr brauchen, sollten wir verschenken, nicht wegschmeißen.“ Die BSR hat einen digitalen Tausch- und Verschenkmarkt eingerichtet. Inseriert wird dort das Wandbild genauso wie der Schrank oder die Playstation.
 
In Deutschland fielen 2014 knapp 20 Millionen Tonnen Verpackungsmüll an, so viel wie nie zuvor. Ein Grund ist der Lebensstil der Deutschen. Die Leute bestellen ihre Dinge zunehmend im Internet, geliefert wird in aller Art von Verpackungen. Beliebt ist auch der Coffee-to-go-Becher. Allein in Berlin landen täglich ungefähr 450.000 Stück in Mülltonnen. „Wir sind in Cafés gegangen und haben die Leute gefragt, warum sie eigentlich mit einem Wegwerfbecher im Café sitzen“, erzählt Söling. Die Antwort: Man müsse eben jederzeit gehen dürfen. Erst wenn man die Leute und ihre Bedürfnisse kennt, kann man auch gute Alternativen entwickeln, so der Ansatz des Ideenlabors. Wiederverwendbare Trinkbecher etwa, die gegen Pfand im Café erhältlich sind, wären eine Möglichkeit, das „to go“-Müllproblem zu lösen.
 
Unten auf dem Hof der BSR sind die neuesten Projekte aus dem Ideenlabor zu sehen. So die rollstuhlfahrergerechte Abfalltonne „arc 32“, die von der Produktdesignerin Evelyn Malinowska im Rahmen ihrer Diplomarbeit bei der BSR entworfen wurde. Benannt ist die Tonne nach einem Gestell, das die 240-Liter-Tonne um 32 Grad nach vorn neigt und so die Einwurfhöhe reduziert. Auch älteren Menschen, die vielleicht nicht mehr so beweglich sind, erleichtert der „arc 32“ den Einwurf von Müll. Eine Stadt wie Berlin wirkt an vielen Ecken jung. Doch Prognosen zufolge wird der Anteil der über 60-Jährigen in den kommenden zehn Jahren um ein Drittel zunehmen. Immer mehr Rentner ver­legen ihren Wohnsitz in die Hauptstadt. Also braucht es nicht nur für die jüngeren, sondern auch für die älteren Singles neue Wohnkonzepte.
Porträt von Christoph Gröner, Bauherr von Berlins erstem vertikalen Dorf VauVau und Geschäftsführer der CG Gruppe

„Alle wollen flexibel sein. Wer oft umzieht, will keine Möbel mehr besitzen.“

Christoph Gröner, Vertical Village „VauVau“

In der Gegend rund um das Hallesche Ufer ist momentan noch alles trist. Hier sieht es eher nach gestern, denn nach morgen aus. Unweit des U-Bahnhofs Möckernbrücke ragt der Postscheckamt-Turm knapp 90 Meter in die Höhe wie ein Überbleibsel einer vergangenen Zeit, in der es noch Postschecks gab. Jetzt soll in diesem Hochhaus die Idee eines neuen Jahrtausends einziehen, und die heißt: vertikales Dorf.

Das Konzept des „Vertical Village“ kommt ursprünglich aus den USA und will wie in einem Dorf Schlafen, Arbeiten und Freizeit auf kleinem Raum zusammenführen. Allerdings in die Höhe geschichtet. In New York soll mit über 400 Metern und 90 Etagen der höchste Wohnturm der Welt entstehen. Die Idee, in einem Haus zu wohnen und zu arbeiten, befriedigt nicht nur das neue Bedürfnis der Städter nach kurzen Wegen. In die Höhe zu bauen löst auch das Problem des zunehmenden Platzmangels in Großstädten. Zudem passt sich das Konzept der vertikalen Dörfer neuen Lebensentwürfen an. Allein in Deutschland steigt die Anzahl der Single-Haushalte seit mehr als 20 Jahren, da müssen viel mehr kleine Wohneinheiten her. Immer mehr Menschen bewohnen eine Stadt zudem nur auf kurze Zeit, da Arbeits­verträge immer öfter befristet sind oder Auslandsaufenthalte eingeschoben werden. Dadurch steigt auch die Nachfrage nach möblierten Wohnangeboten, wie sie in den neuen Wohntürmen entstehen.

Nun bekommt die Hauptstadt ihr erstes vertikales Dorf unter dem Projektnamen „VauVau“. Leben und arbeiten sollen dort vor allem diejenigen, die viel unterwegs sind und wenig Zeit haben. Gestresste Manager also oder auch „Digitalnomaden“ zwischen 20 und 40 Jahren, die zum Arbeiten nur ihr Notebook brauchen und schnelles Internet. Damit sich niemand einsam fühlt, können die Bewohner große Freiflächen gemeinsam nutzen, wie beispielsweise Wohnzimmer oder voll ausgerüstete Küchen. Wer keine Zeit oder Lust hat, seine Hemden selber zu waschen und zu bügeln, gibt sie beim Wäschedienst ab und bekommt sie – wie im Hotel – zurück an die Tür geliefert. Somit gibt es eigentlich keinen Grund mehr, den Turm zu verlassen. Und wenn doch, soll es einen Car-Sharing-Parkplatz direkt am Ausgang des Turms geben.

Bauherr der VauVau-Wohnwelt ist die Berliner CG Gruppe. CG steht für Christoph Gröner. Wer mit Gröner am schick eingerichteten, mehretagigen Hauptsitz der Immobilienfirma in Charlottenburg sprechen will, muss Zeit mitbringen. Im Konferenzraum erklärt Gröners Assistentin Elena Jochmann das VauVau-Konzept vorab bei einem Cappuccino. Neben Berlin sollen solche Häuser auch in Leipzig, Frankfurt, Köln und Offenbach entstehen. Hatte Gröner sich selbst im Sinn, als er sich die Wohnanlage für Hochleistungsträger überlegt hat? Assistentin Jochmann nickt. „Herr Gröner ist immer verplant. Heute Berlin und morgen Tokio. Aber die tägliche Runde Joggen morgens um halb sechs darf nicht fehlen.“

Dann kommt Christoph Gröner und begrüßt mit festem Händedruck. Er trägt einen dunklen Anzug und die dunklen Haare sind mit Gel nach hinten gekämmt. Vor 30 Jahren, direkt nach dem Abitur, ging er von Karlsruhe aus in die Welt mit einem Plan vor Augen. Der lautete: „Geld verdienen und nochmals Geld verdienen“. Gröner wuchs mit zwei Geschwistern in einem Lehrerhaushalt auf. Da blieb kein Geld für echten Luxus übrig. Dafür, so lernte es der junge Gröner, würde er schon selbst sorgen müssen. Über den Onkel bekam er einen Job auf der Baustelle. Die Branche faszinierte ihn. Mit 19 Jahren gründete er seine erste Baufirma, hatte bald darauf knapp 20 Angestellte. Nebenher absolvierte er ein Maschinenbau­studium, paukte Mechanik und Statik. „Das hilft mir bis heute, obwohl ich das Studium nie beendet habe“, sagt Gröner.

Die Idee der vertikalen Dörfer lernte Gröner auf seinen Reisen in die USA und nach Asien kennen. Gröner glaubt, dass möblierte Wohneinheiten in bester Lage, mit Gemeinschaftsflächen, Rundum-Betreuung und zu Kurzzeitmieten auch in Deutschland gebraucht werden. „Alle wollen flexibel sein. Wer oft umzieht, will keine eigenen Möbel mehr besitzen“, sagt Gröner. Das trifft seiner Meinung nach nicht nur auf Freelancer und Manager zu, sondern auch auf Studenten oder Senioren. Auch diesen sollen die VauVaus offenstehen.

Den Einwand, das VauVau komme wie eine Art Wohnanlage für Reiche daher, will er deshalb nicht gelten lassen. „Wir werden darauf achten, dass möglichst unterschiedliche Menschen zusammen wohnen. Soziale Durchmischung ist erwünscht“, sagt Gröner. Alle VauVaus will die CG Gruppe selbst verwalten und vermieten.

Gröners vertikale Dörfer sollen keine absoluten Luxusbauten werden. Die Basisvariante eines Apartments im Berliner Turm mit Einbauküche, Garderobe und Schlafzimmerschrank soll warm ab 600 Euro zu haben sein. Die CG Gruppe will sich auch die Gegend um den Turm vornehmen. Es sollen nicht nur Grünflächen entstehen, sondern auch weitere Wohnangebote. Neben dem VauVau ist ein Komplex mit Familienwohnungen mit jeweils vier bis fünf Zimmern geplant. Zusätzlich sollen 150 Sozial­wohnun­-gen auf dem Areal entstehen, die nach Fertigstellung an das Berliner Wohnungsunternehmen Degewo gehen. Dieses wird die Wohnungen preiswert vermieten. Damit will Gröners Firma demonstrieren, dass sie nicht nur für gut Verdienende baut.

„Wandel hat nichts mit Verzicht zu tun, sondern macht sehr viel Spaß.“

Karen Wohlert, Baumhaus Berlin

Porträt von Karin Wohlert und Scott Bolden im Baumhaus Berlin
Die Mischung von Menschen, die sich Christoph Gröner für seine VauVaus wünscht, findet in einem ehemaligen Künstleratelier im Stadtteil Wedding schon lebhaft statt. Hier stehen acht Leute zwischen 20 und 50 Jahren um einen großen Tisch herum und schnippeln Salate, Tomaten und Pastinaken. Reggae-Musik läuft. Eine Bohrmaschine rattert von dort, wo eine Theke mit Schutzfolie abgedeckt ist. An den Wänden hängen Blumen. Auf einem abgewetzten Sofa sitzen vier Frauen und planen, wie das „Food-Kollektiv“ verbessert werden kann. „Wir sollten Hülsenfrüchte ins Angebot nehmen“, sagt eine von ihnen. Eine andere ergänzt: „Komplett auf Verpackung verzichten muss auch möglich sein.“
 
Gröners vertikale Dörfer sollen keine absoluten Luxusbauten werden. Die Basisvariante eines Apartments im Berliner Turm mit Einbauküche, Garderobe und Schlafzimmerschrank soll warm ab 600 Euro zu haben sein. Die CG Gruppe will sich auch die Gegend um den Turm vornehmen. Es sollen nicht nur Grünflächen entstehen, sondern auch weitere Wohnangebote. Neben dem VauVau ist ein Komplex mit Familienwohnungen mit jeweils vier bis fünf Zimmern geplant. Zusätzlich sollen 150 Sozial­wohnun­-gen auf dem Areal entstehen, die nach Fertigstellung an das Berliner Wohnungsunternehmen Degewo gehen. Dieses wird die Wohnungen preiswert vermieten. Damit will Gröners Firma demonstrieren, dass sie nicht nur für gut Verdienende baut.
 
An diesem Ort namens „Baumhaus Berlin“ arbeiten weder Forscher noch Unternehmer an der Frage, wie die Stadt von morgen aussehen kann. Hier kommen ganz normale Leute zusammen, die das Thema umtreibt und die selbst anpacken wollen. „Klimakrise, Flüchtlingskrise, Wirtschaftskrise. Die Welt erlebt seit einer ganzen Weile schon den kollektiven Burnout. Da kann ich nicht zuschauen, sondern ich will zeigen, dass Alternativen möglich sind. Diese gestalten wir zusammen und wir leben sie auch“, sagt Karen Wohlert, die bei den Frauen vom „Food-Kollektiv“ auf dem Sofa sitzt. Die 31-Jährige, ganz in Schwarz gekleidet und mit schwarzer Mütze auf dem Kopf, ist eine der Gründe­rinnen von Baumhaus Berlin.
 
Wohlert war schon in der Anti-Atom-Bewegung engagiert. Nach ihrem Politikstudium verschrieb sie sich ganz der Arbeit am
sozialen und ökologischen Wandel. Ihren „Baumhaus“-Mitgründer und heutigen Mitbewohner Scott Bolden traf sie zufällig auf dem Weg zur S-Bahn von Potsdam nach Berlin. „Scott hat mich nach dem Weg gefragt, wir kamen ins Gespräch und stellten schnell fest, dass wir an den gleichen Themen interessiert sind. Daraus ist eine Freundschaft entstanden“, erklärt Wohlert. 2012 begaben sie sich in Berlin auf die Suche nach einem Ort, wo sie ihre Ideen ausprobieren können, und fanden die 140 Quadratmeter große Räumlichkeit im Wedding. Wohlert und Bolden wohnen in einer Wohngemeinschaft über dem Baumhaus.   
 
Die Miete für das Baumhaus wurde bisher aus einem Mix aus Crowdfunding, privaten Spenden und einem Bankkredit bezahlt. Zudem mieten hin und wieder gemeinnützige Organisationen die Räumlichkeiten für Veranstaltungen. In Zukunft wird das Baumhaus auch für eigene Workshops Eintrittsgeld erheben. Das Baumhaus wird von vielen freiwilligen Helfern gemeinsam gebaut. An einem Tag sind es mehr, an einem anderen weniger. So gestaltet sich der Ort im Prozess. Viele der Materialien sind gerettet oder gespendet. Eine Küche gibt es schon. Hinten schließt sich noch ein Zimmer an, in dem gerade Schleifarbeiten durchgeführt werden. Den Namen Baumhaus haben sie dem Ort gegeben, weil eine tragende Säule in der Mitte des ersten Raums steht. „Die hat mich am Anfang total gestört. Aber dann habe ich einen anderen Blickwinkel angelegt und gedacht: Hey, der hält ja alles zusammen. Dieser Pfeiler ist total cool“, erzählt Scott Bolden.
 
Einen anderen Blickwinkel einnehmen ist die Lebensphilosophie des 48-Jährigen. Gekleidet in einen orangefarbenen Overall, legt er die Bohrmaschine beiseite und setzt sich auf einen Hocker. Er will erzählen, wie sein persönlicher Wandel zu Stande kam. „Ich habe lange in New York gearbeitet, mal als Designer, mal als Autor und gut verdient. Als die World-Trade-Türme zusammenbrachen, habe ich das von meinem Hochhaus gesehen und dachte: ‚Irgendwas läuft in unserer Welt ganz falsch‘“, sagt Bolden auf seinem Hocker. Alle Menschen hätten doch eigentlich den Wunsch, in Frieden zu leben. Bolden sieht es nun als seine Mission, Orte zu schaffen, an denen Menschen „sie selbst sein können“, wie er es nennt, ganz unabhängig von Nationalität, Geschlecht und Status.
 
Besonders eine Stadt braucht solche Orte, kommen doch hier viele unterschiedliche Menschen zusammen. Wie wichtig ist da Nachhaltigkeit? „Essenziell“, sagt Bolden. „Sparsam mit Ressourcen umgehen, die Erde nicht ausbeuten, das geht Hand in Hand mit einem besseren Umgang der Menschen miteinander.“ Bei verschiedenen Veranstaltungen informiert das Team vom Baumhaus interessierte Menschen rund um Nachhaltigkeit. Eine Exkursion ging beispielsweise zu einem Blockheizkraftwerk. Zudem gibt es die Initiative „Zero Waste“, bei der die Teilnehmer versuchen, möglichst müllfrei zu leben, und auch Restaurants und Geschäfte auf das Thema ansprechen. Es gibt eine „Repair-Stunde“, wo jeder kaputte Geräte mitbringen kann. Im „Tauschring“ werden Gegenstände getauscht und verliehen. Im Baumhaus dürfte man sich darüber freuen, dass „Zero Waste“ nun auch als Leitbild im Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Regierung Berlins verankert ist. Ziel ist es, in den kommenden Jahren eine moderne Kreislaufwirtschaft in der Hauptstadt umzusetzen.
 
Das Baumhaus ist mittlerweile auch ein Ort, an dem sich verschiedene „grüne“ Gruppen vernetzen. So sind beispielsweise die „WeddingWandler“ dabei, die zur weltweiten Transition-Town-Initiative gehören.
 
Karen Wohlert freut sich darüber, dass das Baumhaus so viele Menschen anzieht, die sich ohnehin für Wandel begeistern. Und sie würde sich wünschen, dass noch mehr Menschen mitmachen, bei denen das Thema noch nicht so präsent ist. „Dieser Ort ist schließlich für alle da. Er zeigt, dass Wandel nichts mit Verzicht zu tun hat, sondern sehr viel Spaß macht.“

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