11. November 2019 | Ausgabe 18

Großer Käse

Folien, Schachteln, Schalen: Wer im Supermarkt heute Käse kauft, bekommt ihn meist in einem Wust aus Plastik verpackt. Nur ein Bruchteil des Materials wird später recycelt, das meiste wird verbrannt. Wir haben uns gefragt, wie das besser geht – und sind Menschen begegnet, die den Käse neu verpacken wollen.

TEXT Max Gehry  |  FOTOS Silke Weinsheimer

Verschiedene Käsesorten in ihren Verpackungen.

Im Ökohof Brodowin: 70 Kilometer von Berlin entfernt, liegt ein Idyll des unverpackten Lebens. Im Hofladen schneidet die Verkäuferin Karin Krause ein Stück Gouda mit der Routine 1.000-mal gemachter Handgriffe vom Laib und wickelt ihn in Käsepapier oder gibt ihn direkt in die mitgebrachte Schale. Wer mag, kann ihn in seinen Korb legen und dann noch rüber zur Molkerei laufen, wo der Käse hergestellt wird. Oder zu den Weiden gehen, wo eine Herde schwarzbunter Rinder grast, die die Milch für diesen Käse geben. Es ist jene Idylle, die in Landlust-Magazinen und auf Käseverpackungen gezeigt wird. Ein pures Käseglück.

Im Supermarkt im Norden Berlins: Emmentaler und Edamer, Bergkäse und Beaufort, Gorgonzola und Gruyère und vor allem Gouda, Deutschlands Lieblingskäse. Junger Gouda. Gouda mittelalt. Gouda alt. Gouda am Stück, gerieben, geschnitten, als runde Scheiben, als eckige Schreiben; zehn Scheiben geschindelt oder vier gestapelt zwischen zwei Scheiben Tilsiter und einem Scheibchen Maasdamer im: „Käseaufschnitt gemischt“. Käse kaufen heißt hier, ihn in Kunststoff verpackt zu bekommen, in Folien, Schalen, Bechern, Tüten, Eimern, Netzen, Tuben und Beuteln. Eine Materialschlacht.

Die plastikfreie Folie lässt sich im Garten kompostieren

Aus Sicht der Hersteller sind Kaufhallen ein Kampfplatz. Von den fast 25 Kilogramm Käse, die laut Milchindustrie-Verband jeder Deutsche pro Jahr isst, will hier jeder Hersteller den größten Anteil verkaufen. Wenn die Konsumenten an die Kühlregale vorrücken, wissen sie oft nur, dass sie Käse kaufen wollen. Welchen Käse sie in den Einkaufswagen legen werden, wissen sie nicht. Nur eines steht fest: Es ist kühl hier, ungemütlich, lange suchen will niemand. Deshalb wird im subpolaren Konsumbereich um Aufmerksamkeit gekämpft. Die Waffen: Verpackungen in allen Formen und Farben und Materialien. Sie sollen zwar in erster Linie den Inhalt vorm Verderben bewahren. Aber sie müssen auch den Wettbewerb entscheiden. So kommt es, dass ein winziger Butterkäse mit Paraffin-Kunststoff überzogen, in Folie gewickelt und in ein Netz gesteckt wird oder ein Schmelzkäse in hauchdünne Folien geschlagen und in Kunststoffbeutel verpackt wird. Zuhause türmt sich dann der Plastikmüll.

Das Problem dabei: Wenn die Käseverpackung in der Wertstofftonne gelandet ist, sollte sie eigentlich recycelt werden. Aber das funktioniert bislang nur schlecht. All die Kunststoffe mit ihren schwierigen bis unaussprechlichen Namen wie Polyamid (PA), Polyethylen (PE), Polypropylen (PP), Polyvinylchlorid (PVC) oder Polyethylenterephthalat (PET) müssen sortenrein sein, um wieder zu Verpackungen werden zu können. Käse aber wird meist von Folien umhüllt, die nicht nur aus einem dieser Materialien gemacht sind, sondern aus mehreren, hauchdünnen Folienschichten bestehen – jede Schicht ein anderes Material.

Der Plastikmix lässt die Recycler verzweifeln. Die Nahinfrarotscanner in ihren Sortieranlagen erkennen anhand der Lichtreflexion eines Materials, um welche Sorte Kunststoff es sich handelt. Den Mischmasch von Käsehüllen erkennen sie nicht – und schieben ihn zu den Reststoffen, die am Ende verbrannt werden. So wird aus ihnen zwar immerhin Wärme und Strom gewonnen. Als Brennstoff ist Abfall so wertvoll wie Braunkohle, die aufwändig gefördert werden muss. Wirkliches Recycling aber, bei dem aus hochwertigen Plastikfolien wieder hochwertige Plastikfolien werden, findet kaum statt.

Doch es gibt viele Menschen, die das nicht akzeptieren wollen. Wir haben drei Produktdesigner getroffen, die an einer Verpackung basteln, die auf dem Kompost verrotten kann. Einen Unternehmer, der Plastikfolien mit Bienenwachspapier bekämpft. Eine Plasmaforscherin, die im Hightech-Labor dafür sorgt, dass Käsehüllen endlich weniger, anders und besser werden. Einen Chemiker, der eine Waschmaschine erfunden hat, die aus Kunststoffresten Bausteine für frisches Plastik spült. Und einen Physiker, der Ordnung in den Plastikmüll bringen will, indem er ihn zum Leuchten bringt. Werden sie das Problem lösen?

Manchmal beginnt das Neue mit einer Krise. Jahrelang saß der Produktdesigner Sven Seevers in einer schicken großen Agentur am Hamburger Großmarkt und dachte über neue Bierkästen, Cremedosen oder faltbare Trinkbecher nach. Dann sollte er für eine Nobelmarke die Hülle für ein neues Produkt designen. „Sah hübsch aus“, erinnert sich Seevers. „Aber nach dem Auspacken blieb praktisch ein Klumpen Verpackung übrig, dessen Materialien nicht mehr voneinander zu trennen waren.“ Er schwor sich: „So was machst du nie wieder.“

Kurz darauf stieß Seevers zufällig auf ein erstaunliches Material: Zellulosefolie. „Ich suchte nach einem Haken. Aber ich fand keinen.“ Er spürte förmlich, wie er einen Kickstart im Kopf bekam, wie er in seiner Fantasie Verpackungen baute, die in ihre Bestandteile zerfallen, wenn sie überflüssig werden. Er wollte eine plastikfreie Folie, die sich im Garten kompostieren lässt. Er erzählte zwei anderen Produktdesignern von dem Material, seiner Frau Katja und seinem Freund Hannes Füting. „Dann gab es irgendwann den Moment, in dem wir uns ansahen und wussten: Damit müssen wir was machen“, erinnert sich Füting. „Also haben wir losgelegt."

Zwei Männer, einer hält ein Brett Honigwaben, der andere möchte in einen Käse beißen, der in eine Bienenwachspapierverpackung eingewickelt ist.

„Die Wachsschicht auf dem Papier ist dick genug, damit der Käse frisch bleibt, aber so dünn, dass sie das Kompostieren nicht verzögert oder in der Biogasanlage wie eine Bremse wirkt.“


Steffen Krötz, bee-paper

Auf der Suche nach einem Namen für ihr Start-up ließen sich die drei von einem Tippfehler inspirieren. „Wenn sie meinen Vornamen schreiben wollen, verirren sich die Leute regelmäßig auf der Tastatur“, sagt Sven Seevers. „Ich habe unzählige Mails, Briefe und sogar ein Zeugnis, in denen steht Seven Seevers.“ So entstand 2017 die Superseven GmbH. Um eine neue Einnahmequelle ging es nicht, eher im Gegenteil. Sie ließen sich ihre Experimente etwas kosten: Zeit vor allem, Geduld, Nerven, aber auch Geld.

Unter dem Markennamen Repaq entwickelte Superseven eine plastikfreie Folienverpackung aus 90 Prozent Zellulose, 5 Prozent Wasser, 4 Prozent Glyzerin, 1 Prozent Bindemittel. Der Zellstoff stammt aus Holzresten nachhaltiger Forstwirtschaft. Die Folie schließe damit einen biologischen Kreislauf, sagt Katja Seevers. „Was aus der Natur entnommen wird, soll am Ende als Wasser, CO₂ und Biomasse dahin zurückkehren.“

Lange bevor Erdöl oder Erdgas zu den gängigen Rohstoffen der Plastikindustrie wurden, nutzte man Naturstoffe wie Zellulose, um Kunststoff herzustellen. Vor gut 150 Jahren entwickelte der US-Amerikaner John Wesley Hyatt mit seinem Bruder Isaiah erstmals einen Kunststoff, der sich mit Wärme verformen ließ. Der Name: Zelluloid. Mit pflanzlicher Zellulose, Nitriersäure und Kampfer als Weichmacher ebneten die Hyatts den Weg ins Kunststoffzeitalter. Erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs setzte die Industrie auf die fossilen Rohstoffe, die damals unschlagbar günstig waren. Seitdem fristen Biokunststoffe ein Nischendasein. „Unglaublich, dass solche Materialien einfach so in Vergessenheit geraten sind“, sagt Hannes Füting.

Die Holzfolie von Superseven lässt sich bedrucken, mit Heißsiegeln verschließen, ist resistent gegen Öle und Fette, lädt sich bei Reibung nicht elektrostatisch auf, schützt vor Feuchtigkeit und Hitze. Sie lässt sich stanzen, lasern, falten, läuft auf vielen Verpackungsmaschinen einwandfrei. „Unsere Folie sieht aus wie Folie aus Öl, sie fühlt sich auch so an, sie knistert, ist aber nicht aus einem fossilen, sondern aus einem nachwachsenden Rohstoff“, sagt Füting. „Durch sie kann kein Mikroplastik entstehen, denn sie ist plastikfrei. Und sie löst sich im Gartenkompost in 42 Tagen spurlos auf.“

Für die Albert Herz GmbH hat Superseven gerade eine Käseverpackung entwickelt, die ihre Folie aus der Nische holen könnte. Der Jahresabsatz der Käsemacher mit Sitz in Kimratshofen, mitten im Allgäu, liegt bei 14.000 Tonnen Käse. Auf dem Prototyp, den Superseven für den Bergkäse von Herz entwickelt hat, haftet durch kompostierbaren Kleber ein kompostierbares Etikett, auf dem mit kompostierbaren Farben eine Kuh gedruckt wurde, die vor einer Berglandschaft auf einer Weide liegt. Das soll Naturnähe suggerieren – im Käse und in seiner Hülle.

Die Crux ist nur: Wenn man selbst nicht so naturnah lebt und keinen Komposthaufen hat, kann man die Verpackung nicht verrotten lassen. In der Biotonne dulden die Entsorger die Holzfolie nicht. Sie lässt sich nicht von einer normalen Plastikfolie unterscheiden, die ihnen die Biogasanlage verstopfen würde. Dass die Holzfolie keine normale Folie ist, sieht man ihr nicht an. Also fliegt sie raus. „Dabei könntest du sie getrost in jede Biogasanlage packen oder in industriellen Anlagen kompostieren“, sagt Füting. Auch die Recyclingunternehmen können mit dem Plastik noch nichts anfangen, wenn ihre Sortieranlagen Holzfolie nicht zuordnen können. Und so wird die Folie aus dem Wald bislang auch hier aussortiert – und landet im Feuer.

Bienenwachs hält Bienenstöcke keimfrei


150 Kilometer vom holzfolienverpackten Bergkäse entfernt, streicht Steffen Krötz über ein Stück Papier. Es ist gelbgräulich, eine Seite rau, eine Seite glatt. Auf den ersten Blick unterscheidet es sich nicht von dem Einschlagpapier, in das ein frisch geschnittener Käse im Bioladen oder auf dem Wochenmarkt eingewickelt wird. Und trotzdem ist es anders. Krötz’ Papier wird aus Zellstoff, Grasfasern und wenig Wasser gemacht. Die beschichtete Seite ist nicht wie üblich aus Polyethylen, sondern aus Bienenwachs. Anders als Holzfolie kann das so genannte Bee-Paper zum Biomüll in die braune Tonne. „Die Wachsschicht ist dick genug, damit der Käse frisch bleibt, aber so dünn, dass sie das Kompostieren nicht verzögert oder in der Biogasanlage wie eine Bremse wirkt“, sagt Krötz.

Portrait einer Frau – farblich in lila gehalten.

„Bakterien? Viren? Pilze? Egal, was auf einer Oberfläche so kreucht und fleucht - wir können Plasma darüberjagen. Das macht alles platt.“

Katja Fricke, inp

Die Geschichte des Bienenpapiers beginnt mit einem Schuljungen im bayerischen Kaff Regnitzlosau. Es ist Ende 2015. Der 13-jährige Hannes Stengel hatte in Oberfranken beim Regionalausscheid des Nachwuchswettbewerbs „Jugend forscht“ mitgemacht. Mit seinem Projekt „Wildbienen unserer Heimat – das optimale Wildbienenhotel“ landete er im Fachgebiet Biologie auf doch auch bei Lebensmitteln funktionieren. Sein Gedanke geht in Getüftel über. Mit Wasserbad und Bügeleisen will er Papier mit Bienenwachs beschichten und testen, wie lange sich Essbares darin hält. Er sucht nach geeignetem Papier. Im Internet stößt er auf das schwäbische Start-up Apomore, über das damals viel berichtet wird. Denn während deutschlandweit mal wieder über Plastiktüten gestritten wird, hat Apomore das „Tütle“ herausgebracht, eine Einkaufstüte aus 100 Prozent Altpapier. Solches Papier will Hannes Stengel für seine Testreihen benutzen – und ruft in Dettenhausen an.

Zusammen mit Hannes Stengel entwickelten Steffen Krötz und Firmengründer Daniel Birkhofer in fast vier Jahren aus der Idee ein Produkt. Nun ist ihr Bee-Paper auf dem Markt. Es soll die plastikbeschichteten Bögen ersetzen, in die Käse in Bioläden oder an Käseständen auf Märkten eingewickelt wird. In kleinen Supermarktfilialen könnte es sogar die durchsichtige Plastikfolie ein Stück verdrängen, die an der Frischetheke zum Einpacken verwendet wird. Steffen Krötz sagt: „Wir haben ein komplett kompostierbares Naturprodukt, das die gleichen Hygiene¬standards schafft wie die durchsichtige Frischhaltefolie, die die Industrie dem Einzelhandel aufzwingt. Wir wären doch blöd, wenn wir diese Möglichkeiten nicht nutzen.“

Heisses Plasma leuchtet, mit kaltem Plasma lässt sich Käse verpacken

Wer noch weiter in die Zukunft von Käseverpackungen gucken möchte, muss nach Greifswald fahren. Das Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie, kurz INP, ist ein geschmacksfreier Zweckbau, voller Labors und Büros. Im ersten Stock sitzt Dr. Katja Fricke in T-Shirt, Jeans und Sneakers in einem Sitzungsraum und erklärt, wie sie mit Plasma demnächst industrielle Käseverpackungen revolutionieren wird, wie wir Käse industriell verpacken. Die 37-Jährige kam nach ihrem Studium in Greifswald zum INP. Inzwischen leitet sie den Forschungsschwerpunkt „Bioaktive Oberflächen“ und führt ein Team aus Nachwuchsforschern, das an „Biosensorischen Oberflächen“ arbeitet. Das Ausprobieren vermeintlich unmöglicher Dinge gehört für sie zum Alltag.

Wie aber soll man sich eine Verpackung aus Plasma vorstellen? Dafür braucht es etwas Physikkenntnisse: „Ein Eiswürfel schmilzt zu Wasser, erhitztes Wasser wird zu Wasserdampf. Fest, flüssig, gasförmig – diese drei Aggregatzustände lernt jedes Kind in der Schule“, erklärt Fricke. „Nur ist da eben noch nicht Schluss. Wenn man einem Gas weiter Energie zuführt, entsteht ein vierter Zustand: Plasma.“ Mit Wärme, Strahlung oder Hochspannung kann man ein Gas dazu bringen, dass seine neutralen Atome oder Moleküle in Ionen und Elektronen zerfallen. Dieses Gas aus geladenen Teilchen ist jenes Plasma. Es umgibt uns überall. Sterne sind Plasma. Die Korona der Sonne ist Plasma. Und wenn ein Blitz aus einer Gewitterwolke durch die Luft rast, verwandeln sich die Luftmoleküle im Blitzkanal in ein Plasma. Meistens leuchten Plasmen. Nicht immer sind sie heiß. So können Plasmen Temperaturen über 100.000 Grad Celsius erreichen oder kaum wärmer sein als der menschliche Körper. Solche kalten Plasmen sehen aus wie die Flamme eines Gasfeuerzeugs, aber verbrennen kann man sich an ihnen nicht. „Mit so einem Plasma“, sagt Fricke, „lässt sich einiges anfangen.“ Zum Beispiel Käse verpacken. 

„Bakterien? Viren? Pilze? Egal, was auf einer Oberfläche so kreucht und fleucht – wir können über diese Oberfläche ein Plasma drüberjagen. Das macht alles platt“, sagt Fricke. Damit würde es möglich, selbst für sehr sensible Lebensmittel wie Käse Mehrwegverpackungen zu entwickeln. „Bevor die dann mit neuem Käse befüllt werden, erledigen wir sämtliche Keime in der Verpackung mit einem Plasma.“

Aber es geht noch mehr: „Wir können Oberflächen nicht nur mit einem Plasma reinigen. Wir können sie in einem Plasma auch beschichten.“ Dafür produziert Fricke ein spezielles Gasgemisch, das sie in den vierten Zustand versetzt. In diese Wolke schickt sie den Ausgangsstoff für eine hauchdünne Beschichtung. Das Plasma trägt dieses Material auf die Oberfläche auf. Nicht der Käse wird also beschichtet, sondern die Innenseite der Verpackung. Der lästige Kunststoffmix aus x verschiedenen Folienschichten, in den Käse heute eingehüllt in den Kühlregalen liegt, würde überflüssig. Stattdessen könnte man Verpackungen entwickeln, die aus einer einzigen Plastiksorte bestehen und sich gut recyceln lassen. „Wir nehmen ein Monomaterial und beschichten das in einem Plasma so, dass es durch die Schicht alle erforderlichen Eigenschaften bekommt, die vorher die vielen verschiedenen Folien übernommen haben“, sagt Fricke. „Aber da sind wir noch am Anfang.“ Welches Stoffgemisch ist das beste für die Beschichtung? Wie verhindern wir, dass die Schutzschicht die Verpackung verformt? Wie sorgen wir dafür, dass die Schicht nicht mit der Zeit auf den Käse abbröselt? Riecht oder schmeckt Käse wegen der Beschichtung anders? Welche Schicht lässt sich mit dem Verpackungsmaterial gut recyceln? Fragen wie diese sind noch weitgehend offen. Aber es ist nur eine Frage der Zeit.

Mann wirft eine Handvoll Kunststoff-Granulat wie Konfetti in die Luft.

„Das Granulat ist kein Plastik-Mischmasch, aus dem sich bestenfalls noch Poller, Parkbänke oder Blumenkübel machen lassen. Dieser Kunststoff hat die gleiche Qualität wie Neuware.“

Gerald Altnau, Creacycle GmbH

Das Granulat hat die gleiche Qualität wie neues Plastik Gerald Altnau atmet tief durch. „Keine Ahnung, warum das fast 20 Jahre gedauert hat“, sagt er. „War einfach niemand da, der das mit uns anpacken wollte. Aber was hat man nicht schon alles totgesagt, bevor es sich doch durchgesetzt hat? Das ist das Schöne an der Zukunft: Sie überrascht uns immer wieder.“ Altnau hat eine Art Plastikwaschmaschine entwickelt, in die man einen Kunststoffmix hineinsteckt und die einem dann sauber die getrennten Bestandteile einer Plastiksorte herausspült. 2001 war das. Es ist die Geschichte einer bislang ungenutzten Chance.

Dr. Gerald Altnau, 68 Jahre alt, blaues Polohemd mit rot gesticktem Reiter auf der Brust, Jeans, braune Brille mit selbsttönenden Gläsern, ist Chemiker. Er hat lange für den Chemiekonzern DuPont de Nemours gearbeitet, den Kunststoffe berühmt und reich gemacht haben: Teflon und Kevlar zum Beispiel, die Bratpfannen und Leibwächter schützen. Altnaus Aufgabe war es, neue Kunststoffe in die Welt zu bringen. Gleichzeitig sah er dabei zu, wie sich der Plastikmüll weltweit schneller vermehrte als die Kratzer auf einer Teflon-Pfanne. Was, wenn die Reste nicht nur ein Problem wären, sondern auch Rohstoffe? Das fragte sich Altnau und gründete mit zwei Partnern die Firma CreaCycle. Sie knöpften sich die Plastikabfälle vor, die kaum zu recyceln sind: Mischverpackungen aus mehreren Zutaten, wie Käseverpackungen es sind. Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising entwickelten sie eine Möglichkeit, um aus Kunststoffgemischen wieder die Bausteine zu ziehen, aus denen sie ursprünglich gebaut wurden. Sie nannten es den CreaSolv-Prozess.

In ihrer Plastikwaschmaschine wird Kunststoff blitzschnell gereinigt und bis auf die Größe von Cornflakes zerkleinert. Die Plastikflakes rieseln in einen Behälter, wo sie sich in einer Spezialflüssigkeit auflösen. „Aus zerhäckselter Käsefolie, in die vielleicht ein 400-Gramm-Block Emmentaler eingeschweißt war, wird eine Suppe aus Polyethylen und Polyamid“, sagt Altnau. Aus dieser Polymersuppe werden die Plastiksorten herausgefiltert, die man haben will. „Bei der Folie vom Emmentaler“, sagt Altnau, „würden wir zum Beispiel erst das Polyethylen herausholen, es trocknen und zu Granulat verarbeiten.“ Dann käme Polyamid dran. „Das Granulat ist kein Plastik-Mischmasch, aus dem sich bestenfalls noch Poller, Parkbänke oder Blumenkübel machen lassen“, sagt Altnau. „Dieser Kunststoff hat die gleiche Qualität wie Neuware.“ So könnte das fast perfekte Plastikrecycling möglich werden.

Wie man Plastik am besten wieder zurückverwandelt, dafür gibt es seit Jahrzehnten viele Methoden. Zum Beispiel lassen sich die langen Molekülketten der Polymere auch durch Hitze von mehreren hundert Grad Celsius zerlegen. Über diese so genannte Pyrolyse verwandeln sich Plastikabfälle zurück in Erdöl. Das ist allerdings aufwändig und teuer. Altnaus Verfahren braucht weniger Energie. Es ist lösemittelbasiert. Auch solche Recyclingverfahren gibt es schon lange. „Aber das Neue ist, dass wir keine gefährlichen und giftigen Lösemittel verwenden. So kann aus einer Käseverpackung wieder eine neue Käseverpackung werden. Ist es nicht das, was wir alle im Kopf haben, wenn wir an Recycling denken?“

„Konzerne sind gut darin, mit klitzekleinen Verbesserungen ihre bestehenden Produkte und Prozesse weiterzuentwickeln“, sagt Altnau. „Mit radikalen Innovationen tun sie sich schwer.“ Über Jahrzehnte lag die Idee brach, es war kein großes Geschäft damit zu machen. Inzwischen ist Altnaus Wissen gefragt. Neuerdings melden sich immer häufiger Unternehmen bei ihm. Der Konsumgüter-Riese Unilever betreibt heute eine Pilotanlage in Indonesien, die nach dem CreaSolv-Verfahren arbeitet. In Deutschland soll eine erste Anlage in Bayern an der Grenze zu Tschechien an den Start gehen. Das Bundesforschungsministerium steckt im Rahmen des Projekts „Circular Packaging“ mehr als drei Millionen Euro in das Vorhaben. „Die Branche“, sagt Altnau, „befindet sich in einem massiven Umbruch.“

Portrait eines Mannes in weißem Hemd, das hellgrüne Flecke hat in einer dunklen Fabrikhalle.

„Mit unseren Markern können wir fast jedes Material kennzeichnen: Kunststoffe, Keramik, Papier, Textilien, Metalle.“

Jochen Moesslein, Polysecure GmbH

 

Es braucht neue Ideen, will man Recycling ernsthaft vorantreiben. Und neue Gesetze. Lange war China der größte Exportmarkt für Plastikmüll aus Deutschland – bis das Land 2018 die Qualitätsstandards für importierte Abfälle anhob. Schlecht sortierter Plastikabfall darf seither nicht mehr dorthin geschippert werden. Doch wohin mit dem Müll, wenn die einfache Lösung – der Export – wegfällt? Es gibt nur wenige Alternativen: Abfall vermeiden, recyceln oder verbrennen. Allerdings sind die heimischen Müllverbrennungsanlagen schon seit Langem ausgelastet. Ein weiterer Grund für die anstehenden Veränderungen: das neue Verpackungsgesetz, das seit 1. Januar in Kraft ist und die Recyclingquoten peu à peu nach oben schraubt. „So kommt es, dass eine in Peking getroffene Entscheidung und ein in Berlin beschlossenes Gesetz unsere technische Entwicklung vorantreiben“, sagt Gerald Altnau. „Vielleicht werden wir uns in ein paar Jahren fragen, warum wir nicht schon früher damit angefangen haben.“

Die Holzfolie von Superseven, die kompostiert werden kann, aber von normaler Plastikfolie nicht zu unterscheiden ist. Das Bienenwachspapier von Steffen Krötz, das man nicht auseinanderhalten kann vom herkömmlichen Einschlagpapier mit seiner Schicht Polyethylen auf der Innenseite. Beide haben das gleiche Problem: Man sieht ihnen nicht an, was sie können. Sie sehen aus wie die Materialien aus Erdöl, die sie ersetzen wollen – und werden dann auch so behandelt: meist verbrannt. Es lohnt sich nicht, sie extra zu sammeln. Die Mengen sind viel zu gering. Auch die Beschichtungen, an denen Plasmaforscherin Katja Fricke arbeitet, verraten nicht, welches Material sich unter ihnen verbirgt. Und die Plastikwäsche von Gerald Altnau erweist sich nur als bezahlbar, wenn man halbwegs weiß, was in dem Kunststoffmix drin ist, aus dem sie die sauberen Bausteine einer Plastiksorte herausspülen soll. So paradox es auch ist: Je mehr ein Produkt versucht wie Plastik zu sein, umso eher wird es aussortiert.

Je exakter Kunststoff getrennt wird, umso hochwertiger wird der Sekundärrohstoff

Doch das könnte sich ändern. Der Mann, der daran arbeitet, das Paradox aufzulösen, heißt Jochen Moesslein. Er hat ein System entwickelt, mit dem sich Verpackungen besser sortieren lassen. Seine Idee: die Materialien markieren.

Moesslein, Jahrgang 1963, ist Physiker und Betriebswirt. Wer zu ihm in die Firma Polysecure nach Freiburg kommt, darf bei einem kleinen Experiment dabei sein: Gäste müssen eigene Verpackungen mitbringen. Diese werden mit Mini-Mengen fluoreszierender Partikel gekennzeichnet, unter andere Abfälle gemischt und durch eine Sortieranlage geschickt. Die Verpackungen der Besucher, auf denen die Marker unter Speziallicht hell aufleuchten, werden von der Anlage gezielt aussortiert – egal, welche Form oder Farbe sie haben oder wie schmutzig sie auch sind. „Mit unseren Markern“, sagt Moesslein, „können wir fast jedes Material kennzeichnen: Kunststoffe, Keramik, Papier, Textilien, Metalle.“

Solche Marker verkauft Polysecure seit fast zehn Jahren an Firmen, die damit ihre Produkte kennzeichnen, um sie von Plagiaten unterscheiden zu können. „Irgendwann habe ich gedacht, das könnte auch eine Lösung für das Müllproblem sein“, sagt der 55-Jährige. „Wenn wir die einzelnen Materialien verwechslungssicher markieren, dann werden sogar gemischte Kunststoffe zu einer wertvollen Ware.“ Das könnte sich rechnen. Moessleins so genanntes Tracer-based Sorting kostet pro Tonne Plastikmüll zwar ungefähr 200 Euro. Weil es aber exakter trennt, kann eine Sortieranlage hochwertige Sekundärrohstoffe im Wert von 1.000 Euro pro Tonne liefern.

Ob Multilayerfolien von Käsepacks, ob Holzfolien, ob Bienenwachspapier oder Plasmaplastik – alles könnte vom jeweiligen Hersteller speziell gemarkert, später aus dem Müll zielsicher herausgefischt und entsprechend wiederverwertet werden. So schließt sich der letzte Kreis der Käsepapiergeschichte. Auch in Zukunft werden wir also vermutlich Käse in allen Varianten in etwas Plastikähnliches gehüllt bekommen, das uns im Supermarkt in ständige Entscheidungsnöte bringt. Oder wir fahren mit einer Käsedose nach Brodowin.

Verschiedene Käsesorten bei Sonnenschein auf dem Rasen inszeniert.

 

Lies hier das zur Titelgeschichte gehörende Interview

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